Zu arg möchte ich nicht mit unseren seherischen Fähigkeiten angeben, aber als wir Marlo Grosshardts Auftritt beim OBS 26 ankündigten, also vor gerade mal eineinhalb Jahren, da sagten wir voraus: „Ich muss mich nicht allzu weit aus dem Fenster lehnen, um zu prognostizieren, dass Marlo Grosshardt nicht mehr lange brauchen wird, um zu den Berühmtheiten unter den deutschen Indie-Künstlern gezählt zu werden.“
Bingo. Was Marlo Grosshardt mittlerweile an Bekanntheit vorweisen kann, wie breit sich die von ihm ausgelöste Begeisterungsspur durch alle musikalischen und sozio-demographischen Blasen zieht: faszinierend. Und hochverdient.
Wer einer seiner Club- oder Festival-Auftritte seitdem beiwohnen durfte hat wahrgenommen, was da passiert mit den Menschen: sie sind hingerissen. Sie werden emotional auf allen Kanälen von Marlo und seiner Band mitgenommen. Vom hier und da melancholisch-bittersüßen Unterton zur fast schon zynischen Weltbetrachtung, von Botschaften mit Haltungsnote 1 zu Polka-seligem Massenschunkeln oder gar zum Publikumsstrudel. Hier wird man nicht lediglich bedient, hier wird die gesamte Klaviatur des menschlichen Gefühlskinos und gesellschaftlichen Irrsinns bespielt.
Marlo singt nach wie vor provokant und nahbar über die Welt, die ihn umgibt. Der dreiundzwanzigjährige Hamburger packt seine Texte in ein raues Pop-Gewand, konfrontiert uns mit dystopischen Ausblicken, dramatisch inszeniert und doch wunderschön. Er hat etwas zu sagen, hat Haltung, einen klaren Blick – aber auch eine Sehnsucht nach dem guten Ende, das er dichterisch und souverän zu beschreiben weiß. Entsprechend packt er seine kritischen Texte in ein poetisches Singer-Songwriter Pop-Gewand, das nie zu kuschelig gerät. Früher hätte man ihn vielleicht einen Liedermacher genannt. Er adressiert den moralischen Verfall und soziale Verwerfungen nicht vage, sondern sehr konkret. Allerdings verzichtet er auf wohlfeile Slogans – seit er denken kann, verarbeitet er seine Sorgen und Ängste, seine Hoffnung und seine partielle Weltabscheu in eigenen Texten. In “Ein Letztes Liebeslied“, besingt er den romantischen Weltuntergang, in „Der Plan“ versucht er sich in Menschen zu versetzen, die es feiern, auf dem Rücken der Solidargemeinschaft zu leben, in “Christian Lindner“ lässt Marlo seinen Frust am Turbokapitalismus aus, der sich als Liberalismus tarnt. Schön vulgär geht es mitunter zu, “in Thailand ficken”, verzweifelt auch “lass uns trinken, auf dass es bald vorbei ist.” Dabei gelingen ihm wirklich große Songs, in denen er Alltagslyrik mit großen Gefühlen und auf den Punkt gebrachter Beobachtungsgabe kollidieren lässt – und das musikalisch so geschmackvoll umsetzt, dass man Tränen in den Augen hat.
Marlo äußert seinen Blick auf die Gesellschaft durch Zuspitzungen. Aber auch die reflektierte Nabelschau, die sarkastische Sicht auf sich selbst hat Platz in seiner Welt. Und er bringt zusammen mit seiner wunderbaren Band das Publikum zum Tanzen. Die fünfköpfige Besetzung sorgt für Abwechslung, vom reduzierten Akustik-Pop-Setting zum lauten, schwungvollen, Vierviertel-Schunkler. Das ist im wahrsten Sinne des Wortes eine Lebenstankstelle.
Es klingt doof und unpassend, hier einen Begriff wie „Marktwert“ ins Spiel zu bringen – aber es ist nun mal so: wir sind sehr dankbar, dass Marlo Grosshardt, dessen innerhalb kürzester Zeit rasant gestiegener Marktwert die finanziellen Möglichkeiten des OBS eigentlich mittlerweile übersteigt, trotzdem bei uns auftritt. Weil er das OBS liebt – und weil wir ihn lieben. Wir freuen uns wie doof!
(Foto: Julia Tiemann)
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