Vor zwei Jahren noch wurde Nils Keppel als Geheimtipp gehandelt, im Eiltempo avancierte der Mittzwanziger mit Songs wie »222« und »Wellblech« zum Protagonisten einer der aufregenderen Strömungen der jüngeren deutschen Musik. Man nannte es NNDW. Nun ja – es braucht solcherart Genre-Labels, um sich der Vermarktbarkeit öffnen zu können. Aber schon zu seinen Anfängen war Nils Keppel herausgewachsen aus dem gleichmachenden Marketing-Brimborium, das sich um NNDW entspann. Er bewies, dass da weit mehr Tiefe ist, dass es nicht darum geht, lediglich Kalenderblatt-Weisheiten aneinander zu reihen, sondern dass der Mensch die Ambivalenz aus Abgründen und Glücksversprechen ohne Gefühligkeit überstehen und darstellen kann.
Der Multiinstrumentalist verfolgt seinen eigensinnigen Entwurf von Post-Punk und Noise-Pop, schartig, rau, intensiv, elektrisierend, vor Unmittelbarkeit strotzend, mit düsterer Klangästhetik. Da „trifft introspektiver Indie auf ordentlich Druck“, wie die Freund*innen vom Immergut Festival es ausdrückten. Seine Wut ist nicht ziellos, es geht „um das Gefühl, dass Musik auch mal unbequem sein darf. Es ist handgemacht, nah dran und trotzdem größer als das eigene Wohnzimmer. Seine Zeilen sind introspektiv, manchmal sperrig, nie beliebig – und genau das macht sie stark. Hier spricht jemand, der etwas zu sagen hat, ohne sich in Parolen zu verlieren. Es geht um das Zwischenmenschliche, um Unsicherheiten, um Druck von außen und innen – aber ohne Pathos, dafür mit Haltung. Weil es hier nicht nur um den perfekten Moment geht, sondern auch um die Augenblicke dazwischen. Um Reibung, Resonanz und das, was bleibt, wenn der letzte Ton verklungen ist.“ Das ist Musik mit langem und tiefem Nachhall, mit rohen Emotionen, kein glattgebügelter Pop-Entwurf sondern durchaus musikalisch radikal. Es geht um den großen Traum und das kleine bisschen Hedonismus in Endzeiten.
In Nils Keppels im Februar 2026 erscheinenden Debütalbum „Super Sonic Youth“ hallt der Geist einer zu schnell gelebten, wie ein Fiebertraum vorbeiziehenden Jugend wider. Der Geist, der, unbefriedigt vom jähen Ende des Rausches, bis in alle Ewigkeit dieselben Fragen spuken lässt: Haben wir es vollends ausgekostet? Haben wir es genossen, solang es noch anhielt? Nils Keppel ist kein Opportunist, sondern sich seiner Sache sicher. Zwischen dringlichen, rohen Riffs, organisch klingenden Drums und nie auf dieselbe Weise eingesetzten Vocals, die mal klagen, mal verhöhnen, zielt Keppel auf die instrumentelle Berufung auf das Wesentliche. Der Sound eilt nicht zum Ziel, er geht entspannten, ausladenden Schrittes, denn er weiß, er kommt an.
Textlich geht es um menschliche Fehlbarkeit und den großen Traum vom Leben wie in einem amerikanischen Film. Es geht auch um den Tod, doch nicht um seine Düsternis und Schwere, sondern um die Ironie darin, so oder so gehen zu müssen. Mit der nihilistisch-übermütigen Attitüde seiner Texte ist Nils Keppel Symbol einer Generation, die sich verdammt fühlt, doch der unausweichlichen Katastrophe ins Gesicht lächelt.
Die Konzerte der Nils Keppel Band sind dabei nahezu kathartisch. Ohne eindrückliche Pop-Show oder konzipierte Bühnenbilder, dafür aber mit unverwechselbaren Charakteren und dem Charme einer Zeit ohne Content Creation und Algorithmen, einer Zeit, in der es leichter war, im Moment zu leben, bevor er vergeht.
Foto: Dan Trautwein



