Projekt Beschreibung

iedereen

Das Duo aus Köln riss beim OBS 24 die Minibühne ab – was für ein Spektakel. Laut, durchgeknallt und wirklich atemberaubend. Das tost und tobt, man reißt die Augen auf und kann nicht anders, als sich dem blanken Irrsinn hinzugeben.

Die Sandkastenkumpels Ron und Tom haben seitdem eine Furche des Staunens hinterlassen, wo auch immer sie auftraten.
„Ich geh k.o., brenne lichterloh“: Schon der Opener „GKO“ des im Februar auf Glitterhouse Records erscheinenden Debüt-Albums, fasst in wenigen Worten zusammen, worum es bei iedereen geht. Um das Risiko, um die Verausgabung, um den Einsatz weit über das Maß hinaus. Wenn man nur zu zweit ist, muss man wohl einfach mit höherem Engagement spielen, und es ist vor allem die Dringlichkeit und die Energie dieser Band, die einen direkt am Kragen packt. „Ich halt mir meine Möglichkeiten offen / und hab keine gewählt“ heißt es etwas später in dem Song, und das hat durchaus etwas von dem verzweifelten Ennui, den Bands wie die Fehlfarben oder Abwärts vor über 40 Jahren formulierten. Und das führt einen dann auch musikalisch auf die richtige Fährte. Denn während sich die meisten Gitarre-plus-Schlagzeug-Duos eine Basis aus Blues, Surf, Garage oder Classic Rock legen, holen sich iedereen zumindest einen Teil ihres Inspirationsstoffs im Post-Punk der späten 70er und frühen 80er., als Bands wie Wire, Gang Of Four oder Devo zwar nicht den Planeten, aber zumindest die Herzen der Menschen mit Ahnung, Haltung und einem Sinn fürs leicht Abseitige eroberten. Hier wird robotisch gegroovt, neurotisch gesungen, fatalistisch getextet – und das immer mit lockerer Faust, um den Zuhörern bei Bedarf schnell mal eine reinzimmern zu können. Christian Ihle (taz-popblog) fasste den Aspekt der Unmittelbarkeit der Band in seiner Reeperbahnfestival-Rückschau zusammen: „iedereen: eine der großen Überraschungen. Die neue Glitterhouse-Band sind zwei Typen mit unterschiedlich dichter Haarpracht, die beide dreckig rocken wie dünne Zeltingers. Eine Wucht!“
Doch auch wenn ein Teil der iedereen-Referenzen in die Vergangenheit weist, darf man sich nicht täuschen lassen: Mit Nostalgie und dem Glauben an die Überlegenheit des Gestern hat das hier nichts zu tun. Diese Band ist felsenfest im Hier und Heute verankert. Dafür sorgen allein schon die Texte und die Themen, die unser Leben im Jahr 2023 umkreisen: Vom Self-Care Sunday zur geteilten Amazon-Prime-Mitgliedschaft, vom Tempolimit zum Tinnitus, von Niki, die die WhatsApp nicht liest, zum modernen Mann, der sich finden oder suchen oder verlieren muss, das finale Urteil steht da noch aus.

Aber keine Angst: Dies sind keine sterilen Bestandsaufnahmen zur Verfasstheit der Generation der Gerade-30-Gewordenen. Der Vortrag und die Arrangements und auch die Vielfalt der Themen ziehen hier eine zweite Ebene ein, die iedereen weit weg aus der Tiefebene lotsen, in der die Larmoyanz blüht. Und jeder Mensch, der mal einen dieser Dachschaden-Liveauftritte der Band erlebt hat, weiß: Am Ende geht es bei iedereen nicht nur um Reflexion, sondern mindestens genauso sehr um den Augenblick, um den Moment des Schwindels, um die Körperlichkeit, um die Feier und den Hedonismus. Ihr habt die Realität? Wir haben den Fluchtweg! Wenn der Alltag ein Gefängnis ist, schmuggeln iedereen mit ihrer Musik eine Feile in die Zelle, mit der man entweder die Gitterstäbe durchsägt – oder eben direkt ein Loch in die Scheißmauer klopft. So klingt Eskapismus im Jahr 2023.

Und so werden idereen den Garten zum Beben bringen.

(Foto: Thomas von der Heiden)

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