Das wurde auch mal Zeit: Turbostaat beim OBS. Endlich!
Sie haben nicht abgelassen von den Inhalten, die sie seit jeher transportieren: Dreck, Wut, Tatendrang, Aufbruchsstimmung, rotziger Pessimismus, unverhohlen grantiger Punk-Geist – kein Wunder, dass ihr aktuelles Album »Alter Zorn« heißt. Das klingt mehr nach Stunde null als nach Spätwerk und probt – anstatt friedfertig zu umarmen – den unsanft aufrüttelnden Würgegriff.
Friedfertig umarmt haben Turbostaat ihre Hörerinnen auf musikalischer Ebene Zeit ihres Bestehens ohnehin nie. Da war immer mehr Understatement und nordfriesische Nüchternheit als Charmeoffensive oder Frohmut, immer mehr Sehnsucht als Wohlbehagen, immer mehr Krach, wirre Worte und bärbeißige Mine zum bösen Spiel als gut gelaunter Humbug. Turbostaat-Musik, das ist Punkrock, dem Wattenmeer-Nebel in den Lungen hängt – seitdem sich die Band 1999 in der schleswig-holsteinischen Provinz formiert hat und auch ein Vierteljahrhundert später.
Im Turbostaat’schen Gebälk tobt infolge harter, von Krankheit, Konzertausfällen und Gesamtscheiße gezeichneter Jahre zu viel »Alter Zorn«. Frei nach dem Motto »Es geht nichts mehr, es geht nichts mehr, doch gar nichts ist vorbei« war da einfach kein Platz für Rekapitulationen, Grown-Man-Punk oder ein abgeschmirgeltes ‚Früher war alles besser‘. Kaum beherrschbar, hektisch, unverbraucht, aufgewühlt, schwarzmalerisch, stellenweise beinahe schaurig. Turbostaat-Mollmusik klingt, wie Turbostaat-Mollmusik klingt; das ist auch heute noch so – nur hallen die schroff flatternden Riffs schlecht gelaunter, die Bassspuren harmoniezerberstender, die staubigen Rumpeldrums dumpfer, die Disharmonien forcierter und die Brüche im Sound radikaler denn je nach.
Turbostaat fordern heraus – und zwar nicht zuletzt deshalb, weil ihre Musik großteils im herausfordernden Jetzt zu spielen scheint und eine klammkalte Dystopie andeutet, die der Realität dramatisch ähnlich sieht. Wie inzwischen bekannt sein dürfte, sind Turbostaat keine Hymnenschreiber, keine Parolenklopfer, keine Klartexter – sondern Meister der poetischen Verschleierung, der konfusen Assoziationsketten und Metaphern, der verqueren Verkopftheit, der märchenhaften Düsternis. Sie machen vom Umstand Gebrauch, dass es – wie im von Turbostaat-DNA durchsetzten Stück »Scheissauge« festgehalten – mindestens fünfzig Synonyme für ‚grau‘ und ‚fahl‘ gibt. Ihre Inhalte sind urbaner geworden. Wo sonst Möwen, Wattenmeer-Nebel und graue Weiten waren, verdecken nun Taubenschwärme, endzeitlich versmogte Betonburgen und eine gottverdammte Bismarck-Statue, die dem Szeneviertel ihren metergroßen Arsch entgegenstreckt, die Sicht auf alles Schöne. Sie blicken auf Metropolen voll »greller Sommerkotze« und Spiegelscherben, die immer enger werden – und nur selten starr aufs offene Meer. Was den schwammigen Protagonistinnen des Turbostaat- Universums dennoch geblieben ist, ist die bohrende Einsamkeit – dieses wütend-resignierte Gefühl, es nicht zustande zu bringen, »hier mitzumarschieren«. Sie zeichnen eine Welt zwischen Novembergicht und Hitzestau, in der sich tote Schwäne im Graben stapeln, Panzer rollen, die Luft knapp wird, Obdachlose die Straße umarmen, alle alles mit Karte bezahlen, in Ledersitzen zittern, die Laune im Arsch und überhaupt »wirklich Sense« ist. Wo alles marode oder längst verwelkt ist, sind aufbrausender »Alter Zorn« und Galgenhumor durchaus angebracht, ja, vielleicht sogar notwendig. Turbostaat verkörpern nachdrücklich und unüberhörbar diese seltsame Gleichzeitigkeit von Kapitulation und Aufbruch, umfassender Ermüdung und beinahe adoleszentem Aufschrei.
Das wird rummsen auf unserer Holzbühne, wenn alle sich in seliger Katharsis suhlen.
(Foto: Andreas Hornoff)
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